Künstliche Intelligenz wie ChatGPT im Unterricht – Gefahr oder Chance für das Lehren und Lernen?
Im November 2022 wurde ChatGPT veröffentlicht. Das Tool verbreitete sich rasend schnell und ist auch in Bildungsinstitutionen ein Thema: Soll ChatGPT verboten werden? Für Michael Lutz, Klassenlehrer an der Sekundarschule Neftenbach, macht ein Verbot wenig Sinn: «Die Lernenden werden sich das Programm zuhause sowieso ansehen und verschwinden wird es auch nicht wieder. Also beschäftigt sich meine Klasse mit einem künstlichen Sprachmodell (LLM), untersucht das Tool kritisch und lernt, wie es funktioniert. In der Auseinandersetzung mit neuen Technologien wie der Künstlichen Assistenz lernen meine Schülerinnen und Schülern kritisch zu denken sowie selbstbestimmt und kreativ zu handeln.»
Michael Lutz spricht übrigens bewusst von Künstlicher Assistenz.
Wer weiss, wie das Programm funktioniert, nutzt und steuert es – nicht umgekehrt.
Ein Buch schreiben mit Künstlicher Assistenz – so wird intensive Denkarbeit draus
Für die Lerneinheiten richtet Michael Lutz über die Fortbildungsplattform Fobizz einen datengeschützten Raum ein. Hier melden sich die Schülerinnen und Schüler mit Pseudonym an. Ausserdem werden die Sessions nach 24 Stunden unterbrochen und die Daten gelöscht. So kann das Tool keine Rückschlüsse auf die Schülerinnen und Schüler ziehen.
In unserem Beispiel hat die Klasse mithilfe der künstlichen Assistenz Geschichten in englischer Sprache geschrieben. Die Lernenden waren die Regisseure, sie haben das Storyboard entwickelt. Jeder Lernende hat sein Thema in Unterthemen gegliedert und zu seinen Unterthemen je zwei Sätze geschrieben. Der Auftrag an die Künstliche Assistenz: Schreib zum gleichen Thema doppelt soviel Text. Das Resultat musste bewertet, der Auftrag an die KI ggf. geschärft werden – solange bis die Lernenden mit ihrem Kapitel zufrieden waren. Pro Kapitel malte eine andere KI im Auftrag der Lernenden auch ein Titelbild. Hierfür fassten alle Schülerinnen und Schüler zusammen, was ihnen in ihrem Kapitel besonders wichtig war – und verfeinerten ihre Anweisungen, bis das Bild passte. Die Klasse beauftragte schliesslich die KI, zehn Vorschläge für den Buchtitel zu machen. Was zu intensiven Diskussionen führte. Das fertige Werk wurde farbig ausgedruckt und von wirklich allen gelesen.
Was haben die Schülerinnen und Schüler dabei gelernt? Michael Lutz: «Sie haben Einblick in die Funktionsweise der Technologie bekommen, haben intensiv miteinander diskutiert und haben Ideen aus ihrer Welt in eine Geschichte verwandelt. Ausserdem haben sie ihre Englischkenntnisse verbessert. Die Anweisungen oder prompts für «KI-Assistenz für Bilder» mussten in Englisch formuliert werden und waren für mich Gelegenheit, Grammatikthemen aufzugreifen. Bewerten kann ich bei so einer Aufgabe nicht die mithilfe von KI geschriebene Geschichte, jedoch die von den Schülerinnen und Schülern formulierten prompts. Begeisternd war, mit welchem Elan sich die Klasse an die gestellten Aufgaben machte.»
Schülerinnen und Schüler zukunftstauglich machen für die Welt von morgen
Michael Lutz ist Pädagogischer ICT-Supporter (PICTS) in Neftenbach. Er berät in dieser Funktion Lehrpersonen und Schulleitung in Fragen rund um moderne Technologien und Medien. Sein Credo: «Was auch immer an neuen Technologien auf dem Markt kommt: Unbedingt ausprobieren! Nur wenn man Bescheid weiss, bestimmt der Mensch und nicht das Tool.
Seinen Unterricht können die Lernenden mitgestalten: «Ich unterrichte unglaublich gerne und möchte meine Schülerinnen und Schüler bestmöglich ausbilden. Deshalb hat meine Planung Spielraum. Ich gebe die Struktur vor und fülle diese mit Ideen aus der Lebenswelt meiner Lernenden. Die Freude, mit der meine Klasse arbeitet, bestätigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin.»