Medienfrühförderung in der Klasse

Kinder sollen gesund und glücklich aufwachsen... da ist man sich einig. Frühförderung von Medienkompetenz sei ebenso wichtig wie gesunde Ernährung oder sicheres Bewegen im Strassenverkehr – sagt Medienpädagogin und Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Eveline Hipeli. Wir wollten Genaueres erfahren.

Frau Hipeli, Sie plädieren für ein ganzheitliches Medienbild – vom Buch bis zum Smartphone.

Das tue ich, denn das Thema ist nicht neu. Früher wurde diskutiert, wieviel Fernsehkonsum vertretbar sei und es wurde kontrolliert, ob unter der Bettdecke mit Taschenlampe gelesen wurde. Die heutigen Herausforderungen sind die Menge der Geräte, die Vielfalt der Inhalte sowie die Mobilität. Smartphones sind immer und überall einsetzbar und sie verschwinden unbemerkt im Kinderzimmer. Das macht es schwer, zu dosieren bzw. nein zu sagen – den Kindern und Jugendlichen ebenso wie uns Erwachsenen. Aber wir müssen Vorbild sein, realistische Regeln aufstellen und diese vor allem auch selbst befolgen.

Wann ist denn der richtige Zeitpunkt, um mit der Medienbildung zu beginnen?

Sobald ein Kind mit Medien in Berührung kommt, meist ist das ein Buch. Schon bald können es auch elektronische Medien sein. Smartphones, ein Tablet oder Computer sind allgegenwärtig – zuhause, bei Freunden, in der Schule. Ich sehe es als Pflicht von uns Erwachsenen, Kinder altersgerecht und spielerisch an digitale Geräte heranzuführen, die schönen Seiten erlebbar zu machen und über Risiken zu reden.

Wieviel Bildschirm darf ein Kind denn konsumieren?

Es gibt medienpädagogische Empfehlungen, nutzen Sie die als Leitplanken. Am allerwichtigsten finde ich es aber, in Kontakt zu sein mit meinem Kind. Dann kriege ich mit, was gerade Thema ist und ich kann ein Bauchgefühl entwickeln, wieviel Medienzeit mein Kind
verträgt. Ich muss ein Auge haben auf die Bedürfnisse meines Kindes. So wie ich merke, dass mein Kind Durst hat, kann ich wahrnehmen, dass die Balance zwischen medialen und nichtmedialen Aktivitäten fehlt. Jede Familie muss für sich entscheiden, welche Rolle die Medien im Familienleben spielen und entsprechende Vereinbarungen treffen.

Viele Erwachsene fühlen sich nicht sicher genug in der digitalen Welt.

Aber wir haben die Verantwortung, jungen Menschen zu zeigen, wie man in dieser Welt besteht. Schliesslich haben wir die Geräte nach Hause und in die Schule gebracht… Ja, wir Erwachsenen sind oft nicht die digitalen Superhelden und es gibt Bereiche, da wissen die Kinder sogar besser Bescheid. Aber bei weitem nicht überall. Denn; Medien und digitale Geräte sind Teil unserer Welt und werden es auch bleiben. Wir müssen hinschauen, nachfragen, uns interessieren. Kinder erzählen lassen, was sie machen. Die Reaktionen von uns Erwachsenen tragen dazu bei, ob das Kind künftig überhaupt über Medien sprechen möchte. Mit «Megacool, lass mich mal mitgucken» bleibe ich eher Teil der Welt meines Kindes als mit «Mach dein Videospiel leiser, du störst!» Sprechen Sie mit Ihrem Kind. Fragen Sie: «Warum willst du lieber gamen – oder Fernsehen schauen – als mit deinen Freunden abzumachen?» Finden Sie heraus, was warum fasziniert und wie es Ihrem Kind geht in der medialen und in der analogen Welt.

Wie sehen Sie die Rolle der Schule? Der Lehrplan 21 verknüpft das Thema Medienkompetenz ja fächerübergreifend.

Die Schule ist ein super Umfeld, um Medienbildung anders anzupacken als zuhause: Der Lehrplan 21 gibt offiziell Raum für Medienprojekte in jedem Fachbereich, die Absolventen der Pädagogischen Hochschulen sind geschult in Medienbildung und Lehrpersonen haben den Auftrag, den Lernenden die Medienwelt ein Stück weit zu erklären und sie medienkompetenter zu machen. Auch in diesem Umfeld ist etwas vom Wichtigsten, dass über Erfahrungen und Gefühle beim Medienkonsum gesprochen wird. Das ist im schulischen Rahmen einfach anders möglich als im familiären. Es braucht aber beides.

Sie sprechen von «medienkompetenten Kreateuren».

Ich bin überzeugt, dass man die Medienwelt durch die eigene Nutzung am besten durchschaut. Anstelle abstrakter Erklärungen bringt die praktische Erfahrung Aha-Erlebnisse, zum Beispiel der Stopp-Trick mit der Kartonschachtel: Nehmen Sie eine Kartonschachtel, in die ein Kind gerade gut reinpasst. Filmen Sie mit der Klasse, wie ein Kind in die Schachtel klettert und stoppen Sie den Film, wenn das Kind drin ist. Die Kamera steht still, bis das Kind aus der Schachtel raus ist, und filmt dann, wie das nächste Kind reinklettert. Wenn sie den Film dann gemeinsam anschauen, zeigt dieser, wie die ganze Schulklasse in die Kartonschachtel passt. Das bietet guten Gesprächsstoff darüber, wie in den Medien auch mal «getrickst» wird.

Medieneinsatz dem Medium zuliebe befürworten Sie aber gar nicht.

Medien können prima Werkzeuge sein. Ich bin aber vom umgekehrten Weg überzeugt, wo man sich zuerst überlegt, weshalb ein Medium als Hilfsmittel zum Lernen eingesetzt wird. Nicht einfach, weil es «eben zur Verfügung steht». Wird z.B. das Thema Lawinen behandelt, so kann ein Bericht eines Helfers einen ersten Eindruck geben, ein Text vertiefte Informationen bieten und dazu ein Video eines Lawinenabgangs noch mehr Stimuli liefern, welche das Lernen vereinfachen können.

Sie sehen Medien als Erweiterung der Möglichkeiten für die verschiedenen Lerntypen.

Medien sind in meinen Augen schlicht ein Werkzeug, um Lernchancen zu verbessern.
Es gibt unterstützende Apps für den eher visuellen bzw. für den eher auditiven Lerntyp. Computer eignen sich hervorragend für repetitives Lernen – sie sind endlos geduldig, werten nicht und wenn die Arbeit gelingt, gibt’s in jedem Fall ein positives Feedback. Es stehen eindrückliche Inhalte zur Verfügung – siehe Lawine –, vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten und ein Fundus, um das kreative Potenzial der Lernenden zu nutzen oder zu wecken. Trotz aller medialen Unterstützung bleiben die Menschen, die das Lernen fördern, das Wichtigste.

Zurück zur Frühförderung – und zu Ulla aus dem Eulenwald

Ich habe diese Vorlesebücher entwickelt, damit Kinder und Eltern gemeinsam die Welt der Medien entdecken. Auf spielerische Weise werden Themen wie Überreizung oder Werbung aufgenommen. Die Kinder lernen zuzuhören, Fragen zu stellen, miteinander über die Geschichte zu reden. Die handgefertigte Filz-Eule lädt dazu ein, selbst Geschichten zu erfinden, mit dem Malbuch kommt Farbe in Ullas Leben.

Aufmerksam sein, zuhören und miteinander reden. Der Schlüssel auch bei der Medienbildung?

Absolut. Ich meine, das Wichtigste bei wirklich allem ist, dass wir Menschen – kleine und grosse – in Kontakt bleiben, dass wir uns füreinander interessieren und dass wir füreinander sorgen.

Vielen Dank Frau Hipeli, für dieses inspirierende und anspornende Gespräch!