Unterrichten mit und über digitale Medien

Prof. Dr. Barbara Getto ist Professorin für Medienbildung am Zentrum Bildung und Digitaler Wandel an der PH Zürich. Zu ihren aktuellen Forschungsschwerpunkten zählen Strategien der Digitalisierung und Veränderungsprozesse in Bildungseinrichtungen.

Barbara Getto, Sie sagten uns, das Thema «Kompetenzen in einer zunehmend durch Digitalisierung geprägten Welt» beschäftigt Sie sehr.

Wer ein selbstbestimmtes Leben führen will, muss ein Verständnis für das Digitale haben. Man muss verstehen, dass es um Vernetzung geht und um Software, die Daten verarbeitet, analysiert und die Wahrscheinlichkeit berechnet, für welche Resultate ich mich interessiere. Bildungseinrichtungen haben den Auftrag, jungen Menschen zu dieser digitalen Mündigkeit zu verhelfen.

Wie können Schulen bzw. Lehrpersonen diesen Auftrag wahrnehmen?

Digitale Medien sind Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, sie gehören in den Unterricht! Deshalb soll im Klassenzimmer mit und über digitale Medien unterrichtet werden. Nehmen Sie die aktuelle Diskussion um die künstliche Intelligenz Chat GPT in der Bildung. Klar kann die Schule mit Verboten reagieren. Zielführender wäre es meiner Meinung nach, sich mit dem Programm im Klassenzimmer zu befassen. Lassen Sie die Lernenden damit arbeiten. Erklären Sie, wie die Technologie funktioniert. Finden Sie zusammen mit Ihrer Klasse heraus, wie man falsche Informationen entlarvt etc. Wir müssen junge Menschen ermuntern und ermächtigen, kritisch zu hinterfragen, zu reflektieren, zu denken. Das ist kein neues Thema. Heute kommt bloss die digitale Dimension hinzu. Anstelle von Verboten müsste man eher die Art der Lernkontrollen überdenken, schliesslich werden immer neue brillante Tools auf den Markt kommen.

Der Lehrplan 21 als vielversprechendes Instrument um den digitalen Wandel im Bildungswesen voranzutreiben?

Wissend, wie schwierig es ist, dass 21 Kantone einen Konsens für einen harmonisierten gemeinsamen Lehrplan finden, ist diese flächendeckende bildungspolitische Massnahme ausserordentlich. Bildungsinstitutionen benötigen für die Digitalisierung von Schule und Bildung Infrastruktur: Technologie, 1:1 Ausrüstung, Kommunikationssysteme, Lernräume. Es braucht einen didaktischen Fahrplan und es braucht Unterstützung, damit die Lehrpersonen die nötigen Kompetenzen aufbauen können. Mit dem Lehrplan 21 wurden die Rahmenbedingungen festgelegt, die Lernziele in Form von Kompetenzen beschrieben und mit dem Modul Medien & Informatik Raum geschaffen für den Erwerb von digitaler Kompetenz.

Sie sagen, Lehrpersonen müssen mündiges Verhalten in der digitalen Welt vorleben.

Die Unterrichtsgestaltung ist grundsätzlich frei wählbar, sie ist individuell und persönlich. Trotzdem kann sich eine Lehrperson einer Thematik nicht verweigern, die bei den Lernenden zentral ist. Eine grosse Aufgabe der Bildungsinstitutionen ist es deshalb, die Lehrpersonen zu befähigen bzw. Anreize zu schaffen, sich mit den digitalen Medien auseinanderzusetzen.

In Ihren Augen hat die Pandemie nicht den erwarteten Digitalisierungsschub gebracht.

Viele Bildungseinrichtungen konnten erstaunlich schnell umstellen auf Online-Unterricht. Die technische Infrastruktur wurde ausgebaut, neue Software angeschafft. Die Lehrpersonen haben ihren Unterricht umgestellt, Hemmungen z.B. vor Video-Calls wurden abgebaut. Nun sind aber zurückrudernde Tendenzen zu beobachten. Gesellschaftliche Krisensituationen sind negative Erfahrungen. Entsprechend schwierig ist es, in der Krise entstandene Handlungsroutinen nachhaltig zu etablieren.

Aber: Junge Menschen bewegen sich in der digitalen Welt. Will ich ihnen als Erwachsener unterstützend zur Seite stehen, muss ich das auch tun.

Vielen Dank, Frau Getto, für diesen inspirierenden Austausch!