Als mit ChatGPT Künstliche Intelligenz (KI) mehr und mehr Thema in unser aller Leben wurde, stellte sich die Frage, wie Bildungsinstitutionen damit umgehen sollen. Verbieten ist aus Sicht des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH nicht zielführend. Wir fragten den pädagogischen Leiter Dr. Beat A. Schwendimann, was er für eine Strategie zum Thema KI in der Schule vorschlägt:
«Ein Verbot von KI in der Schule würde jene Schülerinnen und Schüler diskriminieren, die zuhause kein eigenes Gerät nutzen können. Das widerspräche dem Prinzip der Chancengerechtigkeit. Auftrag der Schule ist es, alle Schülerinnen und Schüler auf die Lebens- und Arbeitswelt vorzubereiten. Dazu gehört der mündige Umgang mit Technologie – auch mit KI. Ausserdem werden generative KI-Dienste schon bald Bestandteil der gängigen Standardprodukte wie Microsoft 365 und Google Dienste sein. Wir alle sollten uns daher damit befassen.»
Wie werden die Lehrpersonen befähigt, über bzw. mit KI zu unterrichten?
«Erstens: Aus- und Weiterbildung. Der Lehrplan 21 reserviert ein bis zwei Wochenstunden für das Modul Medien und Informatik im Stundenplan. Lehrpersonen, die das Fach unterrichten, sind entsprechend weitergebildet. Damit haben wir in der Schweiz schon mal einen guten Grundstein gelegt. Für viele Lehrpersonen ist das Thema KI in der Schule jedoch Neuland. Deshalb braucht es eine flächendeckende Aus- und Weiterbildung. Ich ermuntere alle, sich mit dem Thema zu befassen, die Tools auszuprobieren und Weiterbildungsangebote z.B. der PHs zu nutzen. Da es garantiert jeder Mensch mit KI zu tun bekommen wird, lohnt sich das auf jeden Fall.
Zweitens: Fachliche Unterstützung durch die PICTS und TICTS. Das Thema KI in der Schule ist technisch, pädagogisch sowie juristisch (Stichwort Datenschutz) anspruchsvoll. Ziel ist, dass KI lernwirksam als weiteres Werkzeug zum Lehren und Lernen eingesetzt wird. Die Pädagogischen ICT Supporter (PICTS) sind Sparringpartner, an die sich Lehrpersonen wenden können, um gemeinsam Unterrichtseinheiten zu erarbeiten. Man könnte die KI beispielsweise einen Aufsatz generieren lassen. Dann würden die verschiedenen Resultate verglichen, einem Fakten-Check unterzogen und schliesslich redigiert. So würden die Anwender- und Medienkompetenz sowie die deutsche Sprache geübt.
Drittens: Prozessbegleitung. Mit KI zählt weniger das Endprodukt, sondern vermehrt auch der Weg dorthin. Die Lehrperson definiert mit den Lernenden Zwischenschritte und bespricht diese Steps. So sieht sie, wie sich ein Produkt entwickelt und die Schülerinnen und Schüler belegen, wie das Endprodukt entstanden ist. Diese Art der Projektarbeit spiegelt die Arbeitswelt wider. Es wird gemeinsam oder alleine, digital oder analog, zuhause oder in der Schule gemäss einem Projektplan mit Milestones gearbeitet. Es ist sinnvoll, dieses Vorgehen in der Schule zu lernen und es ist legitim, Hilfsmittel einzusetzen.»
Wie kann in Zeiten von KI in der Schule ein Leistungsnachweis aussehen?
Es werden vermehrt nicht-textbasierte Leistungsnachweise eingesetzt. Zum Beispiel in Form von mündlichen Prüfungen oder Vorträgen. Hier zeigt sich, ob eine Schülerin oder ein Schüler etwas erklären kann, ohne dass Hilfsmittel verfügbar sind. Je nach Prüfung wird festgelegt, welche Hilfsmittel eingesetzt werden können. Bei Open-Book-Prüfungen werden kompetenzorientierte Aufgaben gestellt, für welche alle Hilfsmittel genutzt werden dürfen. Bei Projektarbeit werden auch Zwischenschritte bewertet, inklusive KI-Prompts. Sie sind auch eine Eigenleistung.
KI in der Schule: Funktionsweise verstehen, Anwenderkompetenz lernen, Ethik- und Datenschutzfragen stellen?
«Das gilt für Lehrpersonen wie für Schülerinnen und Schüler. Eine KI versteht keine Inhalte. Sie greift auf eine riesige Datenmenge zu und sucht Muster, Korrelationen. Menschen haben sie trainiert und ihr beigebracht, welche Muster nützlich sind. So wird sie immer besser in der Aneinanderreihung von Wörtern, Tönen oder Pixeln. Aber Achtung, eine KI lernt auch Unsinn. Wenn sie etwas nicht zuordnen kann, zeigt sie ein beliebiges Resultat – sie halluziniert. Eine KI ist eine Wahrscheinlichkeitsmaschine, keine Wahrheitsmaschine.
Bei der Anwenderkompetenz geht es aktuell darum, geschickte Prompts zu formulieren. Schon bald werden sich künstliche Assistenten aber proaktiv anbieten.
Und schliesslich müssen wir uns bewusst sein, dass alles, was wir eingeben Teil des KI-Datensatzes wird und nicht nachverfolgbar ist. Das widerspricht zwar dem Urheberrecht, ist aktuell aber Fakt. Äusserste Vorsicht ist im Umgang mit sensitiven Daten geboten. Stellen Sie sich vor, Sie laden den psychologischen Lernbericht eines Drittklässlers in die KI und bitten um eine Zusammenfassung. Sie werden nicht wollen, dass Jahre später ein potenzieller Arbeitgeber diese Information über die KI abrufen kann und eine Bewerbung wegen dieses Berichts ablehnt.
Fazit: KI wird nicht wieder verschwinden. Wir alle müssen am Thema dranbleiben. Nur wenn wir die Technologie kennen und kritisch hinterfragen, können wir sie selbstbestimmt einsetzen.»
Danke, Beat Schwendimann, für dieses inspirierende Gespräch und danke für die weiterführenden Informationen.